Warum
musste Oury Jalloh sterben?
Welche
Rolle spielten zwei weitere ungeklärte Todesfälle?
Recherchen
decken brutale Polizeitraditionen auf
Ein Asylbewerber aus Afrika verbrennt am 7. Januar 2005 in einer Polizeizelle in Dessau. Seit nunmehr 15 Jahren kann die
Justiz den Fall nicht aufklären – und macht ihn dadurch zum Politikum.
In der Feature-Serie "Oury Jalloh und die Toten des Polizeireviers Dessau" befasst sich WDR5 mit einem der größten ungeklärten Justizskandale der deutschen Nachkriegsgeschichte. Wir sprachen mit Autorin Margot Overath.
WDR: Frau Overath, Sie sind seit
mehr als zehn Jahren auf der Suche nach der Wahrheit im Fall Oury
Jalloh. Was glauben Sie, geschah am 7. Januar 2005 in der Zelle des
Polizeireviers Dessau-Roßlau?
Margot Overath: Nach meinen Recherche wurde Oury
Jalloh schwer misshandelt. Er verlor das Bewusstsein, es wurde kein Arzt
geholt, was unbedingt nötig gewesen wäre, und nachdem vermutet wurde,
dass er nicht wieder aufwacht, wurde sein Suizid inszeniert.
WDR: Wenn das wirklich so war, wäre es dann Mord oder Totschlag ?
Overath: Ich bin keine Juristin, aber ich habe einigen Leuten diese Frage gestellt. Ein Staatsanwalt sagte mir, bei
einem solchen Ablauf sei es ganz klar Mord. Auch die Nebenklage-Anwältin
geht von Mord aus.
WDR: Wie viele Menschen kennen überhaupt die Wahrheit?
Overath: Das sind vermutlich nur sehr wenige. Eine
wichtige Zeugin ist die Polizistin, die damals die Feuerwehr rief.
Vermutlich weiß sie alles, aber sie hat im Prozess die Aussage
verweigert. Von ihr ist also nichts mehr zu erfahren.
WDR: Wenn man die Serie hört, hat
man den Eindruck, es gibt eine kleine Gruppe Menschen, die die Wahrheit
kennt, aber sie nicht ans Licht kommen lässt. Wie gelingt ihnen das?
Overath: Das hängt mit den Strukturen in der Polizei zusammen, aber nicht nur. Die Staatsanwaltschaft hat sich von
Anfang an auf die Version des unfreiwilligen Suizids eingelassen.
Unfreiwillig, weil Oury Jalloh versucht haben soll, mit einem Feuer auf
sich aufmerksam zu machen. Ein Brandversuch hat aber gezeigt, dass es
nicht so gewesen sein kann. Und damit ging das Desaster von vorne los.
Denn nun sollte das Ergebnis unter den Teppich gekehrt werden, aber
nicht mehr von der Staatsanwaltschaft Dessau. Da waren höhere Mächte
beteiligt. Wie das gelungen ist, schildere ich in der Feature-Serie.
WDR: Sie berichten über zwei weitere Todesfälle. Welchen Bezug haben Sie zum Fall Oury Jalloh?
Overath: Ich habe mich auch mit zwei Todesfällen
in und um diese Wache von 1997 und 2002 beschäftigt. Beide
Ermittlungsverfahren wurden damals eingestellt. Der Oberstaatsanwalt
hielt es 2017 für möglich, dass Oury Jallohs Tod auch deshalb als Suizid
dargestellt wurde, damit die Fälle nicht noch einmal untersucht werden.
Ein Informant berichtet, wie Polizisten ihre Machtgelüste an hilflosen
Schutzbefohlenen auslebten. Das war nicht nur in der Wache bekannt, ihr
Verhalten wurde auch von Vorgesetzten gedeckt und ging zurück auf
Traditionen aus Zeiten der Volkspolizei, die Angst machen sollten.
WDR: In Ihrer Feature-Serie kommen auch neue Zeugen zu Wort.
Overath: Ja, ich habe mit aktiven und mehreren
ehemaligen Polizeibeamten sprechen können. Einer stammt aus dem Umfeld
der damaligen Dienstschicht. Es geht mir darum, aus einer Vielzahl von
Indizien den wahrscheinlichen Tathergang zu rekonstruieren, aber auch um
die Motive, warum er vertuscht werden musste. Dabei haben mir viele
Menschen geholfen, die an den Prozessen beteiligt waren,
Wissenschaftler, aber auch Kriminalisten und Forensiker, die ihr
Fachwissen einbringen.
Das Interview führte Michael Scholten